


07. Februar 2012
Reinraum – ZEMI und ANH Berlin – Interview mit Diplom Pädagogin Katharina Kunze (Teil 2)
Im zweiten Teil unseres Interviews mit Katharina Kunze, ZEMI Berlin, dreht sich alles um den Ausbildungsverbund Mikrotechnologie Berlin-Brandenburg, ANH Berlin, Kontakte zu Unternehmen sowie Strategien gegen den weiblichen Nachwuchsmangel in den sogenannten MINT-Berufen.
Frau Kunze, welchen Service bietet ANH Berlin für ausbildungswillige Jugendliche?
Zunächst versuchen wir im Gespräch berufliche Interessen entsprechend individueller Begabungen und schulischer Voraussetzungen einzugrenzen. Dann informieren wir die Jugendlichen umfassend zu passenden Ausbildungsberufen. Besteht Interesse an einem der vorgestellten technisch-naturwissenschaftlichen Berufe, bitten wir sie, uns ihre Bewerbungsunterlagen zuzuschicken. Diese prüfen wir zunächst, geben teils Hilfestellungen beim Bewerbungsschreiben oder fordern fehlende oder fehlerhafte Unterlagen nach. Sind in den Wunschberufen alle Ausbildungsplätze bereits besetzt, beraten wir die unversorgten Bewerberinnen und Bewerber zu Ausbildungsalternativen in anderen „artverwandten“ Berufen. Ziel ist es, möglichst passgenau Unternehmen und potenzielle Auszubildende zusammenzubringen.
Es werden dann auch Kontakte zu Unternehmen hergestellt, die Nachwuchs für die Ausbildung im Dualen System suchen?
Wir pflegen ein großes Netzwerk von Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg und stehen als Ansprechpartner in allen Fragen der dualen Ausbildung zur Verfügung. Durch die vielen persönlichen Kontakte kennen wir die Anforderungen von Unternehmen an die technisches Fachkräfte ganz genau. So können wir auf gewünschte Voraussetzungen hinsichtlich fachlicher und persönlicher Qualifikationen, den so genannten Soft Skills, schnell reagieren und im Ausbildungsbereich passende Bewerberinnen und Bewerber individuell vermitteln. Die Besetzung von Ausbildungsplätzen ist für Unternehmen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, eine echte Herausforderung. Daher bewerben wir freie Ausbildungsplätze auf Veranstaltungen zur Berufsorientierung und in Ausbildungsplatzbörsen im Internet. Wir bieten aber noch mehr Service, indem wir eine Vorauswahl der Bewerbungen treffen und nur die weiterleiten, die mit dem Stellenprofil der jeweiligen Unternehmen übereinstimmen.
Darüber hinaus gibt es auch einen Ausbildungsverbund. Was hat es damit auf sich?
Um den Austausch zum Thema Ausbildung auf betrieblicher Ebene zu stärken, ist ANH Berlin im Ausbildungsverbund Mikrotechnologie Berlin-Brandenburg aktiv. Der Zusammenschluss unterstützt den Informationsaustausch der Ausbildenden und den Austausch der Mikrotechnologie-Azubis.
Dies macht Sinn, wenn Ausbildungsinhalte, die von einzelnen Unternehmen nicht abgedeckt werden können, durch Partner im Verbund übernommen werden. Zusätzlich wird die Ausbildung bereichert, da Auszubildende die Möglichkeit haben, andere Betriebsabläufe, weitere technische Geräte, neue technologische Entwicklungen und Produktionslinien kennenzulernen.
Können sich Unternehmen auch gezielt an Sie wenden mit der Fragestellung einer ganz speziellen Vermittlung?
Jedes Unternehmen, das in die Ausbildung einsteigt oder seine Ausbildungsaktivitäten ausweiten möchte, kann mit uns in Kontakt treten. Wir beraten Unternehmen von der Einrichtung des Ausbildungsplatzes über die Bewerbungsakquise bis hin zur eigentlichen Ausbildung. Wenn wir einen Ausbildungsplatz ausschreiben und in die Vorauswahl gehen, bitten wir jedes Unternehmen um das gewünschte Bewerbungsprofil. Als Voraussetzungen werden meist gute schulische Leistungen und naturwissenschaftliches Interesse gefordert. Oft sind auch praktische Vorerfahrungen oder handwerkliches Geschick gefragt. ANH Berlin bemüht sich, entsprechend dieser Vorgaben, Bewerber oder Bewerberinnen zu finden.
ANH Berlin ist bestrebt, den Übergang von der Ausbildung zum Studium zu verbessern. Wie lässt sich dies in der Praxis gestalten?
Berufliche und akademische Bildung waren über Jahre hinweg „getrennte Welten“. Hat beispielsweise eine Mikrotechnologin ihre duale Ausbildung abgeschlossen, musste sie trotz ihrer Vorkenntnisse und praktischen Erfahrungen bei Aufnahme eines Mikrosystemtechnik-Studiums wieder bei null beginnen. Daher setzt sich ANH Berlin dafür ein, den Übergang zum Studium zu verbessern und den Anschluss zwischen den Bildungsebenen zu vereinfachen. Im Anschluss an die Ausbildung ein Studium aufzunehmen, steigert nicht nur die Aussichten auf einen interessanten Arbeitsbereich in der Forschung und Entwicklung neuester Technologien. Es sichert zudem Unternehmen und Forschungseinrichtungen gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal, das sich reibungslos in komplexe Arbeitsabläufe integrieren lässt.
Dahingehend gibt es auch eine Kooperation mit der Fachhochschule Brandenburg in Hinblick auf ein mögliches Bachelor-Studium „Mikrosystemtechnik und Optische Technologien“ für Bewerber/-innen, die schon über bestimmte Qualifikationen verfügen? Wie müssen wir uns das Prozedere vorstellen?
In einem ersten Schritt wurden die Ausbildungsinhalte, die erforderlichen Voraussetzungen und die zu erzielenden Kompetenzen, die so genannten Outcomes, der Ausbildung und des Bachelor-Studiengangs miteinander verglichen. Gleichwertige Bildungsinhalte wurden in einem zweiten Schritt herauskristallisiert und dem Prüfungsausschuss an der Fachhochschule vorgelegt.
Einige Bildungsmodule der Ausbildung konnten somit für das Bachelor-Studium anerkannt werden. Bestimmte Lehrveranstaltungen müssen dadurch nicht mehr belegt werden. Für manche Module müssen jedoch schriftliche oder mündliche Prüfungen abgelegt werden, um für das Studium anerkannt zu werden. Das jetzt neu etablierte Verfahren erleichtert den Übergang von der Ausbildung zum Studium und erspart viel Zeit – je nach individuellen Voraussetzungen.
Des Weiteren entwickelt ANH Berlin Zusatzmodule, um auf den Praxisbedarf zu reagieren und den Auszubildenden die nötigen Qualifikationen für den Einstieg in den Beruf zu vermitteln. Welche Module stehen derzeit zur Verfügung und wie werden diese vermittelt?
Es wurden zwei Zusatzmodule entwickelt, die sowohl für Mikrotechnologen/-innen als auch für angrenzende Berufe wie Physiklaborant/-in, Mechatroniker/-in, Produktionsfachkraft Chemie konzipiert worden sind. Ein Modul behandelt das Thema „Physikalische Grundlagen der Photovoltaik“ und ein weiteres beschäftigt sich mit „den Grundlagen der Vakuumtechnik“.
Es werden grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in Theorie und Praxis vermittelt, die beispielsweise Aufbau und Funktionsweisen der technischen Geräte näher erläutern. Die Module haben einen zeitlichen Umfang von etwa 40 Stunden. Sie werden als Praxisseminare von der Lise-Meitner- Schule durchgeführt und eignen sich sowohl für die berufliche Erstausbildung als auch für die Weiterbildung.
Gibt es im Bereich Mikrotechnologie inzwischen Hoffnung auf mehr weibliche Bewerber und wie stellt sich die diesbezügliche Entwicklung generell dar?
Der Mangel an weiblichem Nachwuchs ist nicht nur ein Problem der Mikrotechnologie-Branche, sondern ein generelles Problem in fast allen sogenannten MINT-Berufen. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Laut Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung lag die Frauenquote im Jahr 2008 bei den Neuabschlüssen für den Ausbildungsberuf Mikrotechnologe/-in bei knapp 30 Prozent. In den folgenden Jahren ist sie auf 23 Prozent gesunken.
In Berlin ist die Gesamtzahl aller weiblichen Auszubildenden im Beruf Mikrotechnologin mit 27 Prozent ähnlich, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg bekannt gab. ZEMI und ANH Berlin legen einen speziellen Fokus auf die Ansprache von jungen Mädchen für MINT-Berufe. Wir ermöglichen neue Blickwinkel auf die Mikrotechnologie, so dass sich auch Mädchen für dieses Berufsfeld interessieren: Die Rollenvorbilder, mit denen wir auf Veranstaltungen und in Schulen gehen, sind oft weibliche Auszubildende, und in der Gestaltung unserer Materialien versuchen wir durch die Bilderauswahl Mädchen anzusprechen.
Umrahmt werden diese Maßnahmen auch von Veranstaltungen wie etwa dem Girls’Day?
Richtig, wir organisieren spezielle Veranstaltungen zur Berufsorientierung mit viel Praxisbezug, um gezielt Mädchen für den Beruf Mikrotechnologin zu gewinnen. Dazu gehören beispielsweise der Mädchen-Technik-Kongress, welcher im letzten Jahr zum zweiten Mal in der Region Berlin-Brandenburg durchgeführt wurde, oder der von Ihnen angesprochene Girls’Day. Um Mädchen und junge Frauen stärker für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren, müssen dennoch eine Vielzahl weiterer Aktivitäten aufgebaut werden, die ineinander greifen und vor allem nachhaltige Strukturen schaffen.
Welche Projekte sind für die Zukunft geplant und was wünschen Sie sich für ZEMI aber auch für das Netzwerk mittel- und langfristig?
Für die Zukunft sind weitere Projekte zur Nachwuchsgewinnung und Verbesserung der Ausbildung im Hochtechnologie-Bereich geplant. Wir sprechen weiterhin speziell Mädchen an und bieten auf die Zielgruppe abgestimmte praktische Workshops und Vorträge an.
Im Zuge der Internationalisierung wollen wir unsere Aktivitäten im europäischen Raum ausweiten, um Erfahrungen auf internationaler Ebene auszutauschen, Good-Practice-Beispiele aufzugreifen und davon zu profitieren. Weitere Aufgabenfelder sehen wir vor allem in der Ansprache und Weiterbildung der Lehrkräfte für spezielle Themen der Hochtechnologie, in der Steigerung der Mobilität von Auszubildenden und im Transfer von erfolgreichen Aktivitäten zur Nachwuchswerbung sowie zur Aus- und Weiterbildung. Allerdings sind die Projektlaufzeiten oft zu knapp bemessen. Um die gesteckten Ziele umsetzen, nachhaltige Strukturen schaffen und aktive Netzwerke etablieren zu können, wünsche ich mir Förder- und Finanzierungskonzepte, die darauf abgestimmt sind.
*KURZVITA Katharina Kunze
Die Diplom Pädagogin und seit 2010 am Zentrum für Mikrosystemtechnik Berlin für den Bereich Aus- und Weiterbildung, speziell für die Nachwuchsgewinnung und -förderung, zuständig. Sie berät zu Ausbildungsmöglichkeiten in den Hochtechnologien, organisiert Veranstaltungen zur Gewinnung von Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Berufe, spricht Technologie-Unternehmen an, um sie für das Thema Ausbildung zu gewinnen. Zudem steht sie in Kontakt und arbeitet mit weiteren Akteuren und Akteurinnen zusammen. Kontakt: e-mail: katharina.kunze@zemi-berlin.de
– Das Interview führte Ursula Pidun –
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Reinraum – Karriere machen in der Mikrotechnologie – Interview mit Katharina Kunze, ZEMI Berlin
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