07. Juni 2013
Greifer und Spannsysteme: Tipps zur sauberkeitsgerechten Konstruktion
Greifer und Spannsysteme sind in der Automationstechnik wesentliche Elemente zum Positionieren und Halten von Werkstücken. Da sie mit dem Bauteil direkt in Berührung kommen, sind sie im Hinblick auf die Vorgaben der Technischen Sauberkeit von besonderer Bedeutung. Greifer und Spannsysteme sind nämlich herausragende Kandidaten für Partikelübertragung und unliebsame Partikelverschleppung oder sogar für Partikelentstehung durch Kontaktabrieb. Für Konstrukteure sauberkeitssensibler Anlagen stellen sie daher eine besondere Herausforderung dar. In diesem Artikel präsentieren wir daher eine Reihe von Konstruktionsmaßnahmen, die bei der Konstruktion Berücksichtigung finden sollten.
Aufgrund ihrer Hauptfunktionen Positionierung, Transport
und Abstützung sind Greifer und Spannsysteme unmittelbar im Prozessbereich angeordnet. Zudem kommen sie direkt mit dem Bauteil in Berührung
und führen Bewegungen aus. Somit besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit der Partikelübertragung und Partikelverschleppung.
1. Reduktion von Kontaktflächen
Um einen Partikelübertrag vom Greifer zum Werkstück möglichst zu erschweren sollten produktberührende Flächen möglichst klein gehalten werden.
Punktberührungen sind Linien- und Flächenberührungen vorzuziehen. Selbstverständlich darf diese Konstruktionsmaßnahme nicht zu einem schädigenden Anstieg der Punktlasten am Produkt führen.
Im Umsetzungsbeispiel entstehen durch Prismen- und Flächenbacke lediglich drei Linienberührungen.
Somit wird die Kontaktfläche am Werkstück (Drehteil) maximal reduziert!
2. Geschlossene Oberflächen
Greifer und Spannsysteme in sauberkeitssensiblen Fertigungseinrichtungen sind tunlichst mit geschlossenen Oberflächen zu versehen.
Dabei sind Vertiefungen, Durchgangsverschraubungen sowie vorstehende Schraubenköpfe zu vermeiden.
Dadurch können einerseits Partikelanhäufungen vermieden werden, andererseits lassen sich solche Greifer gut reinigen. Partikelübertragung auf das Bauteil kann dadurch eingedämmt werden.
Im vorliegenden Problembeispiel (links) sind produktberührende Flächen nicht geschlossen. Somit können sich im Bereich der Schraubenköpfe Partikel ansammeln. Aufgrund schlechter Zugänglichkeit ist eine Reinigung dieser Vertiefungen nur bedingt möglich.
Im Umsetzungsbeispiel (rechts) wurden die produktberührenden Flächen vollständig geschlossen. Dazu wurden die Schrauben versenkt und die Bohrungen mit Abdeckkappen verschlossen.
Im nächsten Problembeispiel befindet sich eine offene Bohrung auf einer produktnahen Fläche. Zusätzlich wurde die Halterung der grünen Gummiteile so ausgelegt, dass ein Spalt entsteht. Die darin verschwindenden Partikel lassen sich nicht durch Reinigung entfernen.
Im Umsetzungsbeispiel wurde die Klemmvorrichtung für die Gummieinlagen vollständig in die Greiferbacke eingelassen, damit die produktnahen Flächen vollständig geschlossen sind. Die erforderlichen Bohrungen wurden mit Abdeckkappen verschlossen.
3. Positionierung und Anordnung von Greifern
Ein wesentliches Kriterium bei der Auslegung von Greifern und Spannsystemen ist die Anordnung derselben.
Um einer Verschmutzung des Werkstücks durch herabfallende Partikel vorzubeugen, sollten sowohl Greifer wie auch dessen Trägersystem seitwärts oder auch unterhalb des Werkstücks angeordnet werden.
Im Problembeispiel (rechts) ist das bewegte Greifersystem direkt über dem Prozess angeordnet.
Somit wird nicht nur das Werkstück in den Prozess transportiert, sondern auch Partikel.
Im Umsetzungsbeispiel (unten) wurde das bewegte Greifersystem seitwärt neben dem Prozess angeordnet. Damit wird der Transport von Partikeln in den Prozess deutlich reduziert.
Greifen von unten wäre natürlich noch die bessere Option.
Dies ist praktisch gesehen jedoch selten möglich, da eine solche Lösung im konstruktiven Aufbau einer Anlage meist massive Probleme verursacht!
4. Material und Oberflächenbeschaffenheit der Greiferbacken
Neben der Verschleppung von Partikeln haben Greifer grundsätzlich auch das Potential als Partikel-Verursacher zu agieren. Kommt es zwischen Werkstück und Greifer zu einer Relativbewegung kann Partikelabrieb die Folge sein.
Dabei gelten die grundlegenden Wirkprinzipien der Zerspanungstechnik, wonach das härtere Material das weichere dann zerstört, wenn Schneiden-Systeme aktiv werden. Neben der Härte spielt dabei also auch die Oberflächenbeschaffenheit eine wichtige Rolle. Kanten, Vertiefungen, Rändel und dgl. wirken als Schneiden und sind daher zu vermeiden. Im Mikrobereich muss auch eine zu große Rauheit der Greifer- oder Werkstückoberfläche als Schneidensystem betrachtet werden das Abrieb hervorrufen kann.
Um Abrieb zu vermeiden sind also folgende Punkte zu berücksichtigen:
- Vermeidung von Relativbewegungen zwischen Greifer und Werkstück
- Anpassung des Härtegrades der Greiferoberfläche an den Härtegrad der Werkstückoberfläche
- Maximale Reduktion der Rauheit der Greiferbacken
Aufgrund verschiedener anderer Aspekte, die bei der Konstruktion eines Spannsystems zu berücksichtigen sind, ist eine beliebige Anpassung von Oberflächenhärte und Rauheit nicht möglich.
Als Faustformel kann dann davon ausgegangen werden, dass polierte Greiferbacken ab einer Härte von 53HRC in der Praxis zielführend sind.
5. Verwendung von Radien statt Fasen und Kanten
Um die Entstehung von Partikelabrieb zu vermeiden sind Greiferbacken mit großzügigen Radien anstelle von Fasen und Kanten zu versehen. Zur Reduktion einer zerspanenden Wirkung sollte im Bereich der Kontaktflächen zwischen Greifer und Werkstück möglichst tangentiale Annäherung stattfinden. Diese Forderung widerspricht jedoch jener nach möglichst geringer Kontaktfläche. Die Auslegung der Krümmung der Greiferbacken und der Größe der Berührfläche ist somit ein Trade-Off, das der Konstrukteur im Einzelfall beurteilen muss.
Im Umsetzungsbeispiel nähern sich die Greiferbacken tangential der Werkstückoberfläche an. Außerdem wurden im Anschlussbereich die Backen mit ausgeprägten Radien ausgestattet.
6. Einhausung von Kabeln und Verschlauchungen
Die Reinigung von Kabeln und Verschlauchungen ist aufgrund ihrer Geometrie nur sehr bedingt möglich. Das erste Anliegen bei der Konstruktion muss es zunächst sein, Kabel und Verschlauchungen örtlich vom kritischen Prozessbereich zu trennen. Dies ist jedoch praktisch nur teilweise möglich.
Zur Vermeidung von Partikeleintrag in den Prozess ist dann eine gut abnehmbare Einhausung mit geschlossener Oberfläche zu empfehlen.
Im Problembeispiel wurden Kabel für Initiatoren sowie Pneumatikschläuche im Bereich des Prozesses angeordnet. Ein Lösungsansatz wäre hier die Umsetzung einer sinnvollen Einhausung.
7. Schnellwechselbare Greifer
In der Regel sind Greifer aufgrund der Systemschnittstellen, die von Herstellern von Spann- und Greifsystemen angeboten werden schnellwechselbar und können dadurch sehr ökonomisch demontiert und allenfalls einem Reinigungsprozess (z.B. Ultraschallreinigung) außerhalb der Fertigungseinrichtung zugeführt werden. Das Augenmerk des Konstrukteurs sollte hier also speziell auf der Wahl geeigneter Schnittstellen liegen.
8. Abluft nicht im Prozessbereich
Im Zusammenhang mit pneumatisch angetriebenen Handlings- und Spannsystemen ist im Gesamtkonzept einer Fertigungseinrichtung darauf zu achten, dass die Abluft von Ventilen und Zylindern nicht in den Bereich der sauberkeitssensiblen Prozesse geleitet wird.
* Bemerkung: Die von der Fa. Schunk zur Verfügung gestellten Bilder stellen Greifersyteme dar, die nicht in sauberkeitssensiblen Fertigungseinrichtungen zum Einsatz kommen. In den diesen Anlagen sind die Lösungen in der gegebenen Form also durchaus sinnvoll!
Referenzen:
VDA19 Teil2, Abschnitt F, Kap. 3.1.4.6 Werkzeuge und Greifer
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